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Tipps zum Umgang mit geflüchteten und belasteten Kindern

Wie gehe ich am besten mit geflüchteten (Geschwister-)Kindern um? Wie beantworte ich Fragen in Bezug auf zurückgelassene Personen? Zu diesen und weiteren Themen gibt Dr. Elisa Pfeiffer, leitende Psychologin an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie am Universitätsklinikum Ulm, anhand vier Beispielsituationen Ratschläge und Tipps.

Kind sitzt allein auf der Treppe auf der Straße
© iStock.com/photocheaper

1. Mit unterschiedlichen Geschwisterkindern umgehen

In unserer Einrichtung sind Geschwisterkinder mit 2 Jahren Altersunterschied, die aus ihrem Heimatland geflüchtet sind. Das eine Mädchen ist aufgeschlossen und versucht sich mit jedem zu unterhalten, auch mit Händen und Füßen. Das jüngere Geschwisterkind hingegen ist sehr schüchtern und reagiert auf laute Geräusche sensibel und zieht sich eher zurück. Wie kann ich mit dieser Situation umgehen und wie kann ich Hilfestellung geben, v.a., auch im Hinblick auf die Sprachbarriere? Wie erkläre ich die Situation anderen Kindern?

Jedes Kind ist einzigartig. Auch Geschwisterkinder müssen sich nicht immer ähnlich sein und unterscheiden sich oft in vielen Dingen. Auch Reaktionen auf neue Umstände und Aufgaben sind daher oft unterschiedlich.

Vergleichen Sie (Geschwister-)Kinder nicht zu sehr miteinander. Trotz gleicher Familie, ähnlichen Vorerfahrungen und gleicher Erziehung, hat jedes Kind eigene Strategien, Ressourcen und Stärken um verschiedene Situationen zu meistern.

Ermutigen Sie auch die Kinder selbst, sich nicht zu sehr mit anderen zu vergleichen. Jedes Kind entwickelt sich unterschiedlich schnell, hat unterschiedliche Stärken und Schwächen und unterschiedliche Interessen. Gerade in der Kindheit sollte man sich frei entfalten und eine eigene Identität entwickeln dürfen. Ein zu starkes Vergleichen mit anderen kann Selbstzweifel erwecken und so den eigenen Selbstwert verringern.

Auch Eltern / Bezugspersonen sollten von zu starken Vergleichen absehen. Vergleiche und evtl. auch Aussagen darüber, ob das jeweilige Kind schneller oder langsamer lernt, offener oder verschlossener im Kontakt mit anderen ist oder eben „nicht so ist, wie das andere Kind“ können für das Kind sehr belastend sein. Stattdessen sollten sich auch Eltern / Bezugspersonen auf die individuellen Stärken und Ressourcen fokussieren und diese fördern.

2. Fragen nach zurückgelassenen Personen beantworten

Viele Kinder, die aus verschiedenen Gründen aus ihrem Heimatland flüchten mussten, z.B. aufgrund politischer Verfolgung oder aufgrund von Krieg, mussten Angehörige und Freunde zurücklassen bzw. haben auf der Flucht den Kontakt verloren. Das kann beispielsweise auch der Vater sein, der im Heimatland zurückbleiben musste, um zu kämpfen. Was soll man einem Kind antworten, wenn es jetzt nach diesen Personen fragt?

Das Fragen nach Bezugspersonen, die man vermisst, ist ganz normal. Für Kinder, die plötzlich eine wichtige Bezugsperson wie z.B. den Vater, verlieren, ist das oft schwer zu verstehen. Fragen nach dieser Person sind daher völlig normal und im Alltag nicht selten.

Machen Sie keine Versprechen, die Sie nicht halten können. Aussagen über die abwesenden Personen, die wir nicht sicher bestätigen können, können bei Kindern zu falschen Hoffnungen führen. Wenn sich Aussagen als nicht wahr herausstellen, kann dies zudem zu einem Vertrauensbruch führen, der der Beziehung zwischen Ihnen und dem Kind schaden kann. Vermeiden Sie daher Aussagen über Dinge, die unklar sind (z.B. ob es dem Vater gut geht, ob er bald zur Familie zurückkommen wird, etc.).

Bleiben sie transparent. Ehrliche und transparente Aussagen können manchmal unangenehm sein, sind aber eine wichtige Voraussetzung für eine stabile und vertrauensvolle Beziehung zum Kind. Aussagen und Antworten auf Fragen der Kinder sollten ehrlich aber kindgerecht getätigt werden (z.B., dass der Vater sich bestimmt viel Mühe gibt, dass es ihm gut geht oder dass er sein Kind bald wiedersehen kann).

Sprechen Sie sich mit den Eltern / Bezugspersonen ab. Um Fragen nach zurückgebliebenen Angehörigen zu beantworten, empfiehlt es sich auch mit der Familie zu sprechen. Überlegen sie bspw. gemeinsam mit der Mutter, wie man dem Kind Informationen über den zurückgebliebenen Vater mitteilen könnte. Passen Sie dabei Ihre Aussagen denen der Mutter zu Hause an.

Fördern und unterstützen Sie die Kommunikation. Das Fragen nach zurückgebliebenen oder verstorbenen Angehörigen soll kein Tabu sein. Kinder sollen Raum dafür bekommen, Fragen zu stellen und über die Angehörigen zu erzählen. Die Aufgabe als pädagogische Fachkraft ist dann, diesen Raum zu bieten und das Gespräch kindgerecht zu leiten.

3. Wenn Kinder den Wunsch äußern, zurück ins Heimatland zu wollen

Ein geflüchteter Junge in unserer Einrichtung sagt nun seit ein paar Tagen immer wieder, dass er in sein Heimatland zurück möchte, um wieder mit Freunden und Verwandten zusammen zu sein. Wie gehe ich mit dieser Situation um und wie reagiere ich gegenüber dem Kind richtig?

Heimweh zu haben ist normal. Die meisten Geflüchteten haben ihr Heimatland nicht gerne oder freiwillig verlassen. Die gewohnte Umgebung, die eigene Kultur, Freunde und Familie zu verlassen ist vor allem für Kinder sehr schwierig und kann eine starke Belastung bedeuten. Dass Kinder ihren gewohnten Alltag und das vertraute Umfeld vermissen, ist daher nachvollziehbar.

Sprechen Sie mit Kindern über das, was sie vermissen. Neben der gewohnten Umgebung vermissen vor allem Kinder auch häufig Routinen und Gegenstände, die durch die Flucht verloren gegangen sind. Lassen Sie Kinder über diese Dinge erzählen, z.B. wie sie immer am Nachmittag zur Großmutter gegangen sind, um ein Eis zu essen oder über die Spielsachen, die sie nicht alle mitnehmen konnten. Das alles zu vermissen ist völlig in Ordnung.

Unterstützen Sie das Kind dabei neue Routinen zu entwickeln. Überlegen Sie gemeinsam mit dem Kind, was es jetzt in seinem neuen Zuhause gibt, das es gerne mag.  Oder welche Personen im Alltag für das Kind da sind. Kinder sollen wissen, dass sie an beiden Orten Dinge vermissen aber auch schätzen dürfen. Sie sollen sich nicht entscheiden müssen.

4. Wenn Ängste geäußert werden, zurück ins unsichere Heimatland zu müssen oder erneut im Krieg zu sein

Für viele Kinder bedeutet die Flucht nach Deutschland erst einmal das Sichern des eigenen Überlebens. Aber wie verhalte ich mich als Fachkraft einem Kind gegenüber, wenn es die Angst äußert, dass es nie wieder zurück in ihre Heimat kann oder der Krieg auch Deutschland erreicht?

Angst vor Krieg zu haben ist völlig normal. Unabhängig von der Herkunft, erleben viele Kinder und Jugendliche heutzutage die Angst, dass der Krieg nach Deutschland kommen und er somit auch einen selbst treffen könnte.

Sprechen Sie über das Thema Krieg. Was Kindern helfen kann, Ängste und Sorgen über ein mögliches Kriegsgeschehen in Deutschland zu verarbeiten, ist, über Fakten aufzuklären. Erklären Sie den Kindern in altersgerechter Sprache, warum es Krieg geben kann, warum es in anderen Ländern Krieg gibt und warum es bei uns in Deutschland seit vielen Jahren keinen Krieg mehr gab.

Machen Sie keine Versprechen, die Sie nicht halten können. Erklären Sie dem Kind, warum es aktuell hier in Deutschland lebt und vielleicht auch noch eine Weile bleiben wird (oder zurückgehen wird, falls es bereits Pläne dahingehend gibt). Machen Sie keine Versprechungen darüber, wie lange das Kind hierbleiben wird oder ob es jemals wieder zurück in sein Heimatland gehen wird (oder ob es jemals zurückkommen wird, falls es bereits Pläne gibt, zurück in das Heimatland zu ziehen). Aussagen, die wir nicht sicher bestätigen können, können bei Kindern zu falschen Hoffnungen führen. Wenn sich Aussagen als nicht wahr herausstellen, kann dies zudem zu einem Vertrauensbruch führen, der der Beziehung zwischen Ihnen und dem Kind schaden kann. Vermeiden Sie daher Aussagen über den zukünftigen Wohnort, denn wir können die (politischen) Umstände und möglichen Pläne der Familie in der Zukunft nie vorhersagen.

Sprechen Sie sich mit den Eltern / Bezugspersonen ab. Bleiben Sie mit den Eltern / Bezugspersonen im Austausch. Berichten Sie ihnen, dass das Kind danach gefragt hat und informieren Sie sich, wie zu Hause über das Thema gesprochen wird und berichten Sie, was Sie dem Kind erzählt haben. Versuchen Sie, sich an dieses Vorgehen anzupassen.

Vermitteln Sie Sicherheit. Sprechen Sie mit den Kindern vor allem auch darüber, warum es sich in Deutschland sicher fühlen kann. Nutzen Sie auch hier eine altersgerechte Sprache und fokussieren Sie sich auf Dinge, die dem Kind auch ganz individuell das Gefühl von Sicherheit geben können (z.B. Verkehrssicherheit, Meinungsfreiheit oder alltagsnahe Dinge wie dass es Anschnallgurte in jedem Auto gibt und Fahrradfahrer Helme tragen).

Machen Sie weiter wie bisher! Kinder sollen sich in der Kindertagesstätte oder im Kindergarten sicher fühlen können. Dies ermöglichen Sie als pädagogische Fachkraft jeden Tag – durch Sicherheit, Struktur und Beziehung im Alltag. So können Kinder jeden Tag aufs Neue ein Gefühl von Sicherheit erleben und das ist unglaublich viel Wert!

Zur Person

Elisa Pfeiffer
© privat

Dr. M.Sc.-Psych. Elisa Pfeiffer ist leitende Psychologin an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Ulm und leitet die Tagesklinik für Kinder. Gemeinsam mit Herrn Dr. Cedric Sachser führt sie außerdem eine wissenschaftliche Arbeitsgruppe zu den Themen Trauma und Traumatherapie mit einem Schwerpunkt zu geflüchteten und fremduntergebrachten Kindern und Jugendlichen. Für ihre Arbeit im Forschungsprojekt „Mein Weg: Trauma-fokussierte Gruppenintervention für junge Flüchtlinge“ wurde sie 2020 mit dem Deutschen Studienpreis der Körber-Stiftung in der Sektion Sozialwissenschaften ausgezeichnet.