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Sieben gute Kinderfilme zum Thema Flucht und Integration
Flucht und Integration sind Themen, die auch Filmemacher seit vielen Jahren beschäftigen. Ein gut gemachter Kinderfilm kann Anstoß sein, die Ursachen und Folgen von Migration in der Klasse anzusprechen. Mit Unterstützung des Kinderfilmexperten Rochus Wolff empfehlen wir Ihnen sieben Filme, die sich lohnen.
Der Experte
Rochus Wolff ist Kulturjournalist, Filmkritiker und Vater von zwei Kindern. Er betreibt den Kinderfilmblog, der sich vor allem an Eltern richtet, die Interesse daran haben, ihre Kinder mit interessanten, auch anspruchsvollen, jedenfalls nicht langweiligen Filmen und außergewöhnlichem Fernsehen bekannt zu machen.
1. Der Junge und die Welt
(O Menino e o Mundo, Brasilien 2013)
Darum geht’s: Die Arme und Beine des kleinen Cucas sind schmal wie Nähgarn und der Kopf rund wie ein Fussball oder wie die Weltkugel, die er mit neugierigem Blick erkundet. Doch Cucas Leben erfährt eine harte Landung, als sein Vater die Familie verlässt, um in der Stadt Arbeit zu finden. Kurzentschlossen macht sich der kleine Junge mit gepacktem Koffer auf, seinen Vater zu suchen, in der Hoffnung, die Familie wieder zusammen zu bringen. Die Reise des Jungen entfaltet sich bildgewaltig mit jeder neuen Station, immer verschiedener und komplexer werden die Animationen.
Deshalb lohnt es sich: "Der Junge und die Welt ist einer meiner Lieblingsfilme. Er kommt ohne erkennbare gesprochene Worte aus und arbeitet mit vielen verschiedenen grafischen Techniken. Es geht eher um Binnenmigration, aber die Gefühle dahinter sind ja oft die gleichen. Es geht ums Verlorensein in der Fremde, um Solidarität und Ausbeutung, um kapitalistische Strukturen und Militarismus. Es bleibt aber eine magisch erzählte Geschichte, wie man sie sonst nirgendwo findet."
2. Ente gut! – Mädchen allein zu Haus
(Deutschland 2016)
Darum geht’s: Die elfjährige Linh und ihre kleine Schwester Tien sind plötzlich auf sich allein gestellt, als ihre Mutter nach Vietnam muss, um sich um die kranke Oma zu kümmern. Linh ist jetzt nicht nur für Tien verantwortlich, sondern muss sich neben der Schule auch um den Haushalt und den vietnamesischen Imbiss ihrer Mutter kümmern. Doch die selbsternannte Spionin Pauline aus dem Wohnblock gegenüber entdeckt das Geheimnis und droht, die beiden Mädchen zu verraten. Aus der anfänglichen Erpressung wächst bald eine Freundschaft, die jedoch immer wieder auf die Probe gestellt wird.
Deshalb lohnt es sich: "An Ente gut! gefällt mir, dass die Probleme, mit denen die Hauptfigur zu kämpfen hat, tatsächlich existenziell sind. Wenn herauskäme, dass sie zu Hause alleine ist, könnte das Jugendamt sie von ihrer Familie trennen. Der Film schafft es gut, trotz aller Leichtigkeit die Gefahr dieser Situation darzustellen."
Ente gut! ist auf DVD und Blu-ray im Handel erhältlich.
3. Paddington
(Paddington, Vereinigtes Königreich, Frankreich, USA 2014)
Darum geht's: Da er eine Schwäche für alles Britische hat, nimmt der ebenso tollpatschige wie liebenswerte Bär Paddington die Reise aus Peru bis nach London auf sich. Als er sich aber mutterseelenallein an der U-Bahn-Station Paddington wiederfindet, wird ihm bewusst, dass das Stadtleben doch nicht so ist, wie er es sich vorgestellt hat. Zum Glück bietet ihm die Familie Brown, zunächst widerwillig, ein neues Zuhause an. Es scheint, als hätte sich sein Schicksal zum Guten gewendet – wäre da nicht eine zwielichtige Tierpräparatorin, die es auf den seltenen Bären abgesehen hat.
Deshalb lohnt es sich: "Paddingtons Status als Migrant wird in dieser Verfilmung nicht direkt thematisiert, aber eigentlich wird er gejagt, weil er ein Fremder ist. Die Gegenspielerin Millicent (Nicole Kidman) will Paddington ausstopfen, weil sie nicht der Meinung ist, dass er die gleichen Rechte hat wie menschliche Bürger. Am Ende aber wird er fester Bestandteil der Gemeinschaft und der Familie. Er wird auch von denen akzeptiert, die vorher skeptisch waren. Gerade weil der Film das Thema nicht so formalisiert behandelt, eignet er sich für den Dialog mit Kindern. Über Akzeptanz, Aufnahme und Miteinander kann man auch am Beispiel eines Bären sprechen."
Paddington ist auf DVD und Blu-ray im Handel erhältlich.
4. Feivel der Mauswanderer
(An American Tail, USA 1986)
Darum geht’s: Anfang des 20. Jahrhunderts wandert der kleine Mäuserich Feivel mit seiner Familie aus Russland nach Amerika aus, weil es da angeblich keine Katzen gibt! Doch bevor Familie Mouskewitz New York erreicht, wird Feivel über Bord gespült und kann sich mit letzter Kraft an Land retten. Es beginnt die Suche nach seiner Familie in den Straßenschluchten New Yorks, wo es jede Menge hungriger Katzen gibt, die Feivel verspeisen wollen.
Deshalb lohnt es sich: "Es gibt gar nicht so viele Kinderfilme, in denen es tatsächlich um den Akt der Migration geht. Auch Feivel ist ja eher eine Abenteuergeschichte, aber die Thematik 'Warum wandert jemand aus?‘ wird vor allem am Anfang gut behandelt. Der Film streift implizit Ideen wie religiöse Verfolgung und die Wünsche, die mit der Auswanderung verbunden sind, zum Beispiel im Lied 'Es gibt keine Katzen im Amerika'. Gibt es natürlich doch. Später ist Feivel dann von seiner Familie getrennt und muss die Erfahrung machen, alleine in der Fremde zu sein – eine Erfahrung, die manche geflüchtete Kinder ja leider auch machen müssen."
5. Lola auf der Erbse
(Deutschland 2014)
Darum geht’s: Eigentlich könnte Lolas Welt ganz in Ordnung sein, denn zusammen mit ihrer Mutter lebt es sich auf dem alten Hausboot "Erbse" ziemlich gut. Doch seitdem ihr Vater sich vor zwei Jahren in Luft aufgelöst hat, gibt es ständig Ärger, und auch in der Schule ist Lola eine Außenseiterin geworden. Als sich Lola schließlich mit dem neuen Mitschüler Rebin anfreundet, scheint sich das Blatt zu wenden. Doch Rebin, der Kurde ist, bringt nicht nur eine große Familie mit, sondern scheint ein dunkles Geheimnis zu haben, bei dem ausgerechnet Kurt, der neue Freund von Lolas Mutter, als Einziger helfen kann.
Deshalb lohnt es sich: "Das eigentlich sehr komplexe Thema des Bleiberechtsstatus wird in Lola für Kinder im Grundschulalter sehr gut vereinfacht, gerade weil sich die rechtlichen Probleme am Ende in Luft auflösen. Stattdessen geht es auch hier vor allem um Akzeptanz, und darum, dass Lola lernen muss, in welcher schwierigen Situation Rebin steckt. Der Film erzählt aus Lolas Perspektive, die vermutlich eine ist, in die sich viele Kinder in Deutschland gut hineindenken können."
Lola auf der Erbse ist auf DVD und Blu-ray im Handel erhältlich.
6. Bekas – Das Abenteuer von zwei Superhelden
(Bekas, Schweden, Finnland, Irak 2012)
Darum geht’s: Irak, 1990: Die beiden Brüder Dana (10) und Zana (7) leben in einem kleinen Dorf im kurdischen Teil des Landes – und sie lieben "Superman". Als die beiden Waisenkinder den Held im roten Umhang zum ersten Mal auf der Leinwand sehen, steht für sie fest: Wir müssen nach Amerika! Der Plan: Auf einem Esel wird die Reise in Windeseile gelingen, denn das Land der Träume liegt gleich "hinter dem nächsten Hügel". In zwei Tagen wollen Dana und Zana auf dem Rücken von Superman wieder in ihr kurdisches Heimatdorf zurückfliegen. Doch die Realität sieht anders aus: Wer das Land von Saddam Hussein heimlich verlassen will, wird auf der Stelle umgebracht.
Deshalb lohnt es sich: "Für kleinere Kinder würde ich Bekas nicht empfehlen, weil besonders die finale Szene, in der einer der beiden Brüder bemerkt, dass er auf einer Landmine steht, doch ziemlich Angst machen kann. Auch leben die Dana und Zana in einem Kontext, in dem es völlig normal ist, Kinder zu schlagen. Aber für etwas ältere Kinder ist der Film nicht nur ein lehrreicher Blick in eine andere Zeit, er erzählt vor allem seine Migrationsgeschichte spannend und dramatisch – der Film macht deutlich sowohl, was Menschen dazu bewegt, ihr Heimatland zu verlassen, als auch wie gefährlich und schwierig eine Flucht ist, auch zwischenmenschlich."
Bekas ist auf DVD und Blu-ray im Handel erhältlich.
7. The Contest – In geheimer Mission
(MGP Missionen, Dänemark 2013)
Darum geht’s: In der Schule ist Karl mit seinem ländlichen Dialekt ein Außenseiter, und die anderen Jungs fangen an, ihn zu mobben. Gott sei Dank nimmt ihn Sawsan, ein Mädchen aus einer türkischen Familie, unter ihre Fittiche. Von ihr lernt Karl, wie man ordentlich Dänisch spricht, und was die coolen Sprüche sind. Aber auch Sawsan hat ihre Probleme. Sie wünscht sich nichts sehnlicher als mit einem eigenen Song in einer Castingshow im Fernsehen dabei zu sein. Doch ihr Vater verbietet ihr die Teilnahme. Da lässt Karl sich etwas einfallen. Bald sucht ganz Dänemark nicht nur einen Superstar, sondern auch zwei Kinder, die spurlos verschwunden sind.
Deshalb lohnt es sich: "Bei dieser Geschichte, in der zwei Kulturen sich teils freiwillig, teils unfreiwillig begegnen, ist es mal so, dass am Ende nicht nur Friede, Freude, Eierkuchen übrigbleiben. Der Film, der übrigens auch wirklich gut inszeniert ist, macht klar, dass mit seinem Ende noch nicht alle Konflikte endgültig geklärt sind. Wichtig ist aber, dass der erste Schritt getan wurde: Menschen reden miteinander und stellen fest, dass sie gar nicht so verschieden sind, wie sie dachten."
Welcher Film fehlt in der Liste?
"Trauma ist ein Thema, zu dem ich bisher noch keinen Film gesehen habe. Wie gehe ich als Kind damit um, wenn ein Kind aus einem Kriegsgebiet in meine Klasse kommt, das traumatisiert ist? Das ist ja eine Situation, die als Folge von Fluchterfahrungen öfter vorkommt. Vielleicht gibt es auch einen Film und ich kenne ihn nur nicht, aber wenn nicht, wäre es gut, wenn jemand einen Film dazu machen würde."
Migration im Film
Noch mehr Kinder- und Jugendfilme zum Thema Migration sowie Hintergrundinformationen und didaktische Materialien gibt es auf der Seite "Migration im Film" vom Deutschen Kinder- und Jugendfilmzentrum.